Satire? Analyse? Rebellion? | Norbert C. Kasers „Brixener Rede“

(Auszüge aus der „Brixener Rede“ von Norbert C. Kaser, gehalten am 27. August 1969 im Rahmen der Studientagung der Südtiroler Hochschülerschaft in der Cusanus-Akademie in Brixen).

Südtirols Literatur der Zukunft und der letzten zwanzig Jahre

99% unserer Südtiroler Literaten wären am besten nie geboren, meinetwegen können sie noch heute ins heimatliche Gras beißen, um nicht weiteres Unheil anzurichten.

In der Einladung zum heurigen »literarischen kolloquium« heißt es: »Südtirols Literatur ist tot«. Wie aber kann etwas tot sein, das es nie gegeben hat? So spreche ich nun über Dinge, die es nicht gibt.

Hermann Mumelter Poet des Schlern

Trüber Tag

Ich wandert‘ einsam für mich hin,
Ein trüber Tag und trüb mein Sinn.
Und rings am Boden manches Blatt,
Das schon der Herbst gebrochen hat.

Und als ein Windhauch d’rüberglitt,
Da raschelt’s rings: „Komm mit, komm mit!“
„Komm mit, komm mit!“ auf Schritt und Tritt. –
Wie mir dies heut ins Herze schnitt.

Solche Gedichte hat man nie verboten und nie verbrannt. Sie tun niemandem weh. Das sind die Exkremente einer total vertrottelten Bozner Schießbudengesellschaft, die wohl über den Dingen steht und dann und wann ihre Seele entleert. So sind unsere Dichter, so ist auch unser Dichterbild: verlogen, verkitscht und kraftlos.

Gesänge an die Abendsonne im Bozner Talkessel, Trauer, Tränen und immer wieder Herbst. Von 27 Landschaftsgedichten Mumelters betreffen 14 den Herbst. Und immer wieder – direkt oder indirekt – beruft er sich in ekelhafter Weise auf Goethe, als ob der solche epigonale Schandtaten sanktionieren könnte. Besonders brutal wird Hermann Mumelter erst, wenn er ins Lokalpolitische geht:

Heimatlied des Abwanderers

Heimat, du herrliche, hei juchei!
Wie strahlst du in Schönheit und Sonnenglanz!
Ein einziger großer Jubelschrei
Erfüllt mich ganz.

So heiligstill die weite Höh‘,
Und alles Leben doch und Drang!
Wenn solche Herrlichkeit ich seh‘,
So wird mir bang.

Wer allzu heiß die Heimat liebt,
Dem bricht das Herze beim Verzicht.
Mein Herz, dem sie ja alles gibt,
Brich du mir nicht!

Eins ist es, das mich aufrecht hält:
Ist nicht mehr deutsch die Heimat mein.
So kann sie, öde und entstellt.
Mir nicht mehr Heimat sein.

Mumelter ist ganz brav in seiner Heimat gestorben. Er kann nicht besonders unter der italienischen Oberhoheit gelitten haben. Sein Schaffen wurde schon vom Schlern belohnt, und im Juni 66 stellte sich der Heimatschutzverein Bozen durch die Veröffentlichung seiner Gedichte das beste Armutszeugnis aus.

Hubert Mumelter Maderneid
1951 ist im Tyrolia Verlag dieser Roman erschienen. Verena, eine alternde Boznerin, macht sich auf ihrem Gut Maderneid ans Schreiben. Diese Verena heißt in Wirklichkeit Hubert Mumelter, aber das macht nichts. Zuerst schreibt sie von ihrer Kindheit. Bozen als strahlende Handelsstadt und sie als strahlende höhere Tochter. Hans Putzer, der einzige Sohn der nicht weniger reichen Nachbarn, ist für sie bestimmt. Geld bleibt am besten bei Geld. Sie werden verlobt und lieben sich auch. Aber weil es gar zu einfach wäre, gleich zu heiraten, kommt Hansens Freund dazwischen. Peter Rubatscher ist es, ein kraftvoller ladinischer Medizinstudent, der im Land herumvagabundiert. Verena verliebt sich unsterblich. Außerdem soll er das ermüdete Bozner Blut ihrer Familie wieder auffrischen mit rätischer Rasse. Hans wird farblos, Peter strotzt.

Es kommt die Zeit der Freiheitskämpfe und reißt alle auseinander. Peter wird Soldat, Hans auch. Peter aber hat Umgang mit Hormayr und Hofer. Und dann, wie die Kämpfe in Tirol ausklingen, kommt Peter nach Maderneid: schwerverwundet. Sie hält ihn versteckt und pflegt ihn gesund. Aber es kommt auch französische Besatzung und nach Maderneid der edle Alphonse de Clermont. Er quartiert sich ein mit dem Haftbefehl für Peter. Langsam bekommt er Wind, aber er ist großmütig, denn er hat sich in Verena verliebt. Sie feiern Weihnachten zu viert: Mutter, Verena, Peter und Alphonse. Kurz danach kommt man ihnen doch hinter die Schliche. Peter flieht. Alphonse erschießt sich.

Und dann geht alles gut aus.

Der Roman ist mittelmäßig. Es ist besser, wenn Sie ihn nicht kennen. Die endlosen indirekten Reden ermüden den Leser, und auch die ewigen Landschaftsbeschreibungen, denn fast immer ist es Herbst. Nicht weniger grausig sind einige pseudophilosophische Ausführungen über das Gute und Schöne.

Die Personen sind teilweise scharf gezeichnet, lehnen sich aber viel zuviel an Goethe und Mann an. Das Südtirolerische ist ihnen aufgezwungen: sie bewegen sich schicksalsträchtig im Rahmen ihrer Rebstöcke. Der kräftige Ladiner hat, abgesehen von seinen kitschigen Gemütsregungen, etwas von einem Zuchtstier. Alphonse ist ein richtiger Bilderbuchfranzose und soll für den Edelmut der gesamten Menschheit geradestehen. Das schafft er natürlich nicht, deshalb bringt er sich um. Verena ist recht lebendig. Dafür kommt Hans viel schlechter weg, als er verdient. So richtig ein dekadentes Bozner Bürgersöhnchen.

Das Beste am Roman ist die Schilderung der politischen Zustände 1800-48. Die Wetterwendigkeit der Bozner und die konsequente Erhebung der Bauern. Wenn der Roman überhaupt einen Höhepunkt hat, so ist es die Beschreibung der Stadt Bozen am Tage von Tirols erster Befreiung. Geht Mumelter aber einen Schritt weiter und vergleicht er durch die Blume die heutige Situation mit der damaligen, so schneidet er sich selber und seinem Roman ins Fleisch.

Es ist ein typisches Faktum in der Südtiroler Literatur – und das macht sie unlesbar und unmöglich -, daß immer wieder mit der nun genügend glorifizierten Andreas-Hofer-Zeit die heutige Lage kaschiert wird. Maderneid ist das Paradebeispiel. Flucht in die Vergangenheit paart sich hier mit politischer Aussage zu einem reinrassig nationalistischen Monstrum. Dazu kommt noch ein Schuß Aufgeklärtheit, der eigentlich nur verschleiern soll, was man sich nicht zu sagen getraut. Mumelter macht das sehr raffiniert. Wer kann ihm angesichts seines edlen Alphonse beweisen, er hasse die Italiener bis auf die Knochen? Wer kann ihm beweisen, er sei Rassenfanatiker letzter Sorte, wenn er vom erdentsprossenen, gottgewollten Geschlecht der Südtiroler spricht?

Maderneid ist tausendfach in der Literatur unserer Tanten und Väter.
Maderneid ist die politische Blindheit schlechthin.
Maderneid ist der Märtyrerroman eines leidenden Bergvolkes.
Maderneid ist eine Schweinerei.

(…)

Die ganze „Brixener Rede“ von N.C. Kaser als PDF-Download.

6 responses to this post.

  1. Posted by Marco on 12. Dezember 2009 at 12:19

    Danke, sehr interessant. Ich hätte gerne weiter gelesen, aber die versprochene Datei ist nicht da.
    Immerhin kann man messen, welche Entwicklung die Sdt. Literatur seit damals gemacht hat. Die von Kaser angeprangerte hält sich natürlich auch hartnäckig, aber sie ist nicht die einzige.

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  2. Es klappt nicht. Ich verstehe das auch nicht, wo das hakt. Wenn Du das PDF der Brixener Rede haben möchtest, melde Dich bitte unter anton_adler@yahoo.de und ich schick sie Dir dann zu!

    Grüße
    Anton Adler

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  3. Jetzt geht’s. Habe ein bißchen herumgebastelt. Gute Lektüre!

    Anton Adler

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  4. Posted by martin mumelter on 16. September 2010 at 20:42

    Bin durch Zufall bei der Suche nach Beträgen über Hildegard Hirzel-Mumelter auf diesen Beitrag gestoßen. Weiß nicht, ob dieser Blog noch aktuell ist. Aber immerhin ein Versuch:
    Bin erstaunt, dass noch niemandem die Bedenklichkeit aufgefallen ist, einfach von einem „Mumelter-Clan“ zu reden, als wären alle diese Leute verwandt oder gar eine Art verschworener Clique schlechter Literatur. Der Name stammt von einem Hof, den im Laufe der Jahrhunderte eine Reihe von Familien bewohnt haben, die in keiner Weise miteinander verwandt sind, aber den Namen behielten. Es ist für einen betroffenen Namensträger höchst unangenehm, mit Personen wie Hubert, Hermann oder Maire-Luise Thurmair in einen Topf geworfen zu werden, obwohl man weder mit ihnen verwandt ist noch in irgendeiner Weise als Künstler zu tun haben will. Sippenhaftung hat in einem aufgeschlossenen Literaturbetrieb ebenso wenig zu suchen wie in der übrigen Politik, und geradezu absurd wird Haftung für eine Sippe, die gar keine ist.
    Freundliche Grüße
    Martin Mumelter
    Salzburg/Innbruck

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  5. Wie schon geschrieben: Sippenhaft ist abgeschafft und Kaser ist mausetot. Er hat es gesagt, wie er es gesagt hat und das muss man – gerade als Künstler – aushalten. Wenn’s nicht dicker kommt…

    Herzlichst
    Anton Adler

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  6. Posted by martin mumelter on 8. November 2010 at 14:13

    Ob ich das aushalte, ist nicht die Frage und auch nicht das Problem. Ein Autor, auch ein mausetoter, muss aber aushalten, dass seine Texte kritisch gelesen und nicht nur nachgeplappert werden. Da gehts ja nicht um die eigene Befindlichkeit, sondern um den Umgang mit Kulturgut, so lang es eines sein soll.
    Ebenso herzlich Martin Mumelter

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