D’Judn san do! | Schluiferers Blick auf die Tarrola Wirtschaft und ihre Tücken um 1909

Der Schriftsteller Chamberlain hat es bewiesen, daß die Juden eine Pestbeule am Körper der europäischen Kultur sind.

Der tarrolischen Kultur wollen sie etwas Ähnliches werden.

In der großen Ansiedelung Innschbruckch hat es begonnen.

Dort wohnte der Schuster Anderl Vicheisen. Er arbeitete täglich zwei bis drei Stunden, die andere Zeit trank er und spielte Karten. Wenn er nach Hause kam, prügelte er Frau und Kinder, und jeden Sonntag ging er in die Kirche.

Eines Tages siedelte sich in seiner Nähe ein Europäer, oder besser gesagt, ein Orientale an, der auch Schuster war. Er hieß Uscher Wasserspeichel. Anfangs hungerte er mit seiner Familie, aber die Familie überwand diese Hungerperiode mit der Zähigkeit ihrer Rasse. Allmählich fand sich für Uscher Wasserspeichel Arbeit. Er arbeitete vom Morgen bis in die späte Nacht.

Es kamen zuerst nur Fremde, später aber auch Eingeborene. Denn Wasserspeichel war höflich, pünktlich und mit jeder Arbeit zufrieden – und zudem billig. Manchmal kamen Leute und meinten, es sei eben nur eine kleine Reparatur. Doch dann sagte Wasserspeichel: Gott soll ma geben su machen recht viel ä soi kleine Reparaturen! Wer das Kleine nicht ehrt, ist nicht wert das Große. Gott soll ma strafen, wenn Se nicht werden zufrieden sein mit dä Absetz‘! Wann wollen Se se haben, guter Herr? Heute abend noch? – Bis übermorgen ist Zeit? Scheen! – Ich werd‘ Ihnen bringen die Schuh‘ heut‘ nachmittag!

Und er brachte sie. – Das ist Orientalenart. Wenn sich ein Fremder manchmal zum Schuster Anderl mit einer Reperatur verirrte, sagte dieser: Waauoos, Sö moanan, i wer‘ mi hi’setzn und an Eanare z’lumpten Schuach umaflickchn, Sö noticha 1) Kerl Sö, wä‘ S‘ Eana koa neix 2) Poor nöt o’schoffn kchenna? Sö wa’n ma da Rachte! Do suach’ns Eana an ondarn Lumpn, oba nöt mi! – Das ist die Art eines offenen, charaktervollen Mannes.

Aber die Leute fanden den „ondarn Lumpn“, der ihnen ihre Reparaturen machte; sie gingen zu Wasserspeichel. Ein Blick auf die Bilder beider Männer lehrt uns, ihren Wert verstehen.

Anderl Vicheisen, der zweifellose Arier, mit dem friedfertigen Auge, das sorglos in die Welt blickt, und mit der freundlichen Körperfülle, die auf einen arglosen und gutmütigen Menschen schließen läßt.

Dagegen der Orientale! Sein Auge ist voll stechender Habgier, sein Haar schwarz und wirr, seine Nase häßlich gebogen, sein Körper abgemagert durch Geiz und sinnlose Sklavenarbeit.

Allein die Leute, die Schuhe brauchten, stellten solche Studien nicht an. Sie gingen immer häufiger zu Wasserspeichel, den sie stets zu Hause trafen, der immer gleich höflich und nüchtern war.

Anderl Vieheisen merkte die Tätigkeit des furchtbaren Konkurrenten. Zuerst versuchte er weniger zu trinken und länger zu arbeiten. Kochend vor Wut tat er es, er, der Sohn eines freigeborenen, kühnen Bergvolkes, der nun wegen eines eklen Juden seine liebgewordenen Gewohnheiten lassen sollte! Er hielt es nicht aus. Zu Wasserspeichel lief er hin und stellte ihn.

Sö Rauba Sö! brüllte er, Sö moanan eppa, daß S‘ mi do aus main o’gstammten Grunt und Bodn vertrei’m wer’n? Sö, i, i bi‘ a geburna Innschbruckcha und Sö, Sö san nua a Zuag’raster! 1) Dös loss‘ ma ins nöt g’folln! Dös gibt’s nöt! Den Schwindel kchen‘ ma! Dö Wor‘ von Eana ischt a ölendache Schwindelwor ! Eana wer‘ ma’s Hondwerkch leg’n ! Jud! Jud! Jud!

Gott, sagte Wasserspeichel, Herr Andreas Vieheisen, was wollen Se von mir? Ich bin ä Jud ünd Se sind ä Christ. Nü, wos ist – -? Ich bin ä Schuster und Se sind ä Schuster –

Owa i moch‘ an urdantlache Wor – -!

Dö Lait können hingehn, wo se wollen, und se kemmen su mir. Nü, wos ist? – –

Mit furchtbaren Flüchen verließ Anderl die Werkstätte Wasserspeichels. Er wandte sich an die Innung um Hilfe, und diese verklagte Wasserspeichel wegen Religionsstörung, weil er nach den Angaben Anderls auch an Sonntagen arbeitete.

Wie die Anklage entschieden wurde, ist nicht von Belang. Wichtig ist es dagegen, zu bemerken, daß Uscher Wasserspeichel jetzt keine Schuhe mehr macht; er hat dazu ein Dutzend Arbeiter angestellt und besorgt nur die Ledereinkäufe und die Buchführung. Vor zwei Wochen ist sein Sohn Asan Abab Wasserspeichel aus dem Inneren Asiens (Jaroslaw oder Zloczow) mit Weib und Kindern nach Innschbruckch gekommen und nun als Kompagnon im Geschäfte seines Vaters tätig. Der Name Wasserspeichel ist verschwunden. Über dem neueingerichteten, geräumigen Verkaufsladen hängt ein neues Firmenschild mit der Inschrift „Schuhwarenfabrik zur heiligen Dreifaltigkeit“.

Im Laden drinnen steht Uscher Wasserspeichel, der emsige, intelligente Orientale, angetan mit einer grünen Weste, und begrüßt die Eintretenden freundlich und lächelnd:

Grüasch Gauoooood!. – –

Auch andere als Anderl Vicheisen spüren heute schon die Konkurrenz der Schuhwarenfabrik, und es gibt viele darunter, die weniger freiheitliche Grundsätze haben als dieser: sie arbeiten etwas mehr und trinken etwas weniger. Aber alle sind doch Herrennaturen. Sie schätzen nur das Ganze und verschmähen die kleinen Reparaturen, sie verschmähen als Söhne eines freigeborenen Volkes das sklavische Gebundensein an bestimmte Lieferungstermine und jede kleinliche Pünktlichkeit, und sie verschmähen demnach auch als Männer von Charakter die Höflichkeit.

So sehen wir die Söhne eines kernigen Naturvolkes von den asiatischen Eindringlingen bedroht, bedroht in ihrem Erwerb, bedroht in ihrem Wesen.

Der Konflikt ist tragisch; man hört sie alle furchtbar schimpfen: D’Judn san do!

Ob sie damit das richtige Verteidigungsmittel gefunden haben? – Ob ihnen Herr Chamberlain wird helfen können?

Neulich sah ich Anderl Vicheisen. In seinem Auge war gar keine Kampflust mehr. Er schlich in der Nähe der Schuhwarenfabrik zur heiligen Dreifaltigkeit herum und schaute müde darein. – Was wollte er dort?

Das Ende ist zu ahnen. Anderl sucht sich Arbeit. – Er weiß, wo sie zu finden ist. Der Kampf um das tägliche Brot ist hart. Schade um den Mann!

5 responses to this post.

  1. Posted by ekattwinkel on 17. Dezember 2009 at 17:25

    Lieber Herr Adler,
    trotz einiger Schwierigkeiten wegen des Dialekts (bin eben eine Norddeutsche) habe ich mich über diese Satire amüsiert. Danke dafür! Aber dann fällt einem ein, dass die aus dem Jahr 1909 stammt: Und man fragt sich, was aus der Familie Wasserspeichel geworden ist …
    Gruß
    Eleonore Kattwinkel

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  2. Liebe Frau Kattwinkel,

    was aus Wasserspeichels geworden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Es ist aber natürlich auch in Tirol (ab 1919 Bundesland Tirol) und in Südtirol (ab 1919 Provinz Bozen/Italien) zu Übergriffen auf Juden, Judenmorden und Deportationen gekommen. Allerdings hat es sowohl in Tirol als auch in Südtirol recht wenige Juden gegeben.

    Ich habe einen gut aufbereiteten Text zur Reichskristallnacht in Innsbruck auf den Seiten einer Kitzbühler Schule gefunden (http://www.hak-kitz.at/default.asp?bhjs=0&Id=236) und einen Beitrag über die Meraner Juden auf den Seiten der Südtiroler Sektion der Gesellschaft für bedrohte Völker (http://www.gfbv.it/3dossier/eu-min/jued-st.html).

    Ganz Tirol hat sich seiner Täterrolle im Nationalsozialismus spät (Tirol) bzw. eigentlich nie (Südtirol) gestellt. Das geht auch aus dem Text von Mateo Taibon auf der GBV-Homepage hervor. Südtiroler haben sich auch nach dem Krieg noch engagiert als Fluchthelfer für Nazigrößen betätigt. Dazu hat jüngst der Historiker Gerald Steinacher geschrieben (Nazis auf der Flucht, Studienverlag Innsbruck).

    Mit herzlichen Grüßen
    Anton Adler

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  3. Posted by Stefan on 8. Januar 2010 at 15:09

    „Fern von Europa“ wird jetzt tatsächlich auch ins Italienische übersetzt.
    Haben Sie bereits das Buch „Tirol-Kamasutra“ von Helmuth Schönauer gelesen? Ist bestimmt auch köstlich.
    http://www.lesen.tsn.at/?menuNo=8&subMenuNo=95&con_id=1982&archiv=all

    Grüße
    Stefan

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    • Das werden wir uns gleich mal vorknöpfen. Klingt viel versprechend. Aber die Tiroler und Sex… naja ich weiß nicht recht… und dann auch noch exotisch…

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  4. jo, die Judn san so, die Walschen sant a so! ehrlich sind nur die „Patridioten“, die anderen lügen doch alle.

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