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Es hat sich nicht viel geändert | Theobald Tiger: Raffke

Ick bin die allerneuste Zeiterscheinung,
Sie treffen mir an alle Orte an –
Ick pfeife uff die öffentliche Meinung,
Weil ick als Raffke mir det leisten kann.
Ick bin die feinste von die feinen Nummern,

Ick steh schon in die Illustrierte drin;
Denn ob Jeschäfte oder Sekt und Hummern:
Ick knie mir rin, ick knie mir richtig rin!

Otto Dix - Grosstadt-Tryptichon
Der Hintergrund für Tucholskys Gedicht – Das Berlin der Spekulanten und der frivolen Lebensfreude (Otto Dix – Großstadt-Tryptichon)

Meen Vata war ein kleener Weichenstella,
Und meene Jugend, die war sehr bewecht –
Ick stand doch damals in’ Jemisekella,
Und habe mit die Jurken einjelecht.
Denn stieg ick uff. Und wurde richtig Raffke.
Und steckt die janze Welt in’ Dalles drin: –
Det macht mir nischt, denn ick vadiene daffke.
Ick knie mir rin, ick knie mir richtig rin!

Von wejen Kunst un so – ick kenn Tosellin!
Ick weeß, der Strauß, der geigt det hohe Fis.
Nur weeß ick nischt Jenaus von B-b-boticellin,
Ob det nun’n Cognak oder’n Keese is,
’n Bild in Auftrag jeben tu ick imma,
Weil ick nu mal’, jawoll, Meezeene bin –

Jefällt mir’t nisch, häng icks ins Badezimma:
Ick knie mir rin, ick knie mir richtig rin!

In der Jeschäfte wüsten Lärm und Hasten
Vajess ick ooch die süße Liebe nich.
Sie, meene Olle is valleicht ’n Kasten,
Die hat so zweenhalb Zentner Schwerjewicht!
Aus meinen Schloss mit seine Silberputten,
Da mach ick raus, wenn ick alleene bin –
Et jibt ja Jott sei Dank noch so viel Nutten –
Ick knie mir rin, ick knie mir richtig rin!

Wat Sie hier sehn an meine dicken Händen,
Den janzen Perlen- und Brillantsalat –
Sie, det sin allet meine Dividenden,
Denn ick bin dreißigfacher Aufsichtsrat.
Und in den alljemeinen Weltenkollar,
‚Da schieb ick still zur Bank von England hin:
Und macht ihrs doll – ick mache immer Dollar!

Ick knie mir rin, ick knie mir richtig rin!

Theobald Tiger, 1922, Drei Masken Verlag Berlin